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Verstehende Pflege nach Helmut Dorra

Das Modell der psychobiographischen Pflege nach Prof. Erwin Böhm wurde von Helmut Dorra, Akademie für Gerontopsychologie, Quickborn, zum Konzept „verstehende Pflege“ weiterentwickelt..

Wir sind nach diesem Konzept durch die Akademie für Gerontopsychologie seit 2007 zertifiziert.

Helmut Dorra beschreibt das Konzept „verstehende Pflege“ in seinem Vortrag auf dem Pflegetag vom 02.04.08 in Bad Bederkesa folgendermaßen:

„Mit dem Konzept der verstehenden Pflege wollen wir verwirklichen und bewahren, was wir mit dem Wort „Menschenwürde“ meinen.

In vielen Pflegeleitbildern wird dieses gewichtige Wort „Menschenwürde“ verwendet.

Aber es macht schon einen Unterschied, ob es irgendwo geschrieben steht, oder ob wir es in unserer Haltung und Umgehensweise mit alten Menschen, vor allem mit dement betroffenen Menschen, bewahrheiten.

Wir pflegen Menschen und nicht ihre Betten!

Mit diesem Leitmotiv hat Professor Erwin Böhm sein psychobiografisches Konzept begründet.

So banal, so selbstverständlich es klingen mag, in der Pflegearbeit haben wir es mit Menschen zu tun, denen wir noch nicht allein mit funktionalen Versorgungsleistungen gerecht werden.

Wir haben es mit Menschen zu tun, denen wir vielmehr mitfühlend und verstehend, angemessen ihren je eigenen Beweggründen und biografischen Gewohnheiten begegnen möchten.

Wir vertreten damit eine Sichtweise, die den Menschen in je seinem subjektiven Erleben und Erleiden zu verstehen suchen.

Wir wollen Antwort geben mit unserem pflegerischen Handeln auf die inneren Beweggründe unserer Bewohnerinnen und Bewohner.

Unsere menschlichen Verhaltensweisen haben emotionale Motive. Sie gehen hervor aus unserer Gefühlsseele.

Was immer wir wünschen und wollen, was wir anstreben, was uns beschäftigt und auch zu schaffen macht, das alles hat seinen guten Grund, der ja nicht zuletzt in unserer Biografie und Lebensgeschichte gelegt wurde, der im Laufe der Zeit gewachsen und geworden ist.

Jeder von uns hat seine je eigenen Lebensweisen und Gewohnheiten. Jeder hat seine je eigene subjektive Lebens Entwicklung, die ihn anleitet zu seinem Verhalten und Handeln.

Mit unseren biografischen Erhebungen werden wir auf diese Weise dem fühlenden Menschen verbunden bleiben und somit niemanden zum Fall erklären, den wir dann etwa fürsorglich versorgend abfertigen.

Wer sich mit alten Menschen befasst, muss sich mit seiner Vergangenheit beschäftigen.

Darum fragen wir nach seiner Biografie: Was erlebte dieser Mensch in seiner Kindes- und Jugendzeit? Welche Moralvorstellungen haben ihn geprägt? Welche Lebensweisheiten und Motive wurden ihm auf dem Weg gegeben? In welchem Daheim ist er aufgewachsen? Wo fühlt er sich zugehörig und aufgehoben? Auf welche Weise hat jemand gelernt, seine Alltagsprobleme zu bewältigen und zum Ziel zu gelangen?

Diese und viele weitere Fragen dienen keinesfalls unserem Bedürfnis nach Dokumentation, - es gibt in der heutigen Pflege schon alle Mal genug Schriftkram zu erledigen.

Wir wollen vielmehr mit unseren biografischen Erhebungen beitragen zu einer fachlichen und zugleich wertschätzenden Umgehensweise, die sich dem einzelnen, seiner Individualität und Normalität angemessen verhält.

Mit einer verstehenden Pflege wollen wir nicht allein Gutes tun, sondern Gutes bewirken.

Wir wollen unseren Patienten nicht alles abnehmen, oder für sie übernehmen.

Häufig würde das bedeuten, dass wir ihnen etwas wegnehmen.

Wir möchten ihnen Gelegenheit geben, sich zu beteiligen und zu betätigen im Alltagsleben.

Wer könnte noch einen Sinn sehen in seinem Leben, wenn keinerlei Aufgaben und wenn keine Verpflichtungen zu erfüllen sind.

Wer könnte noch einen Sinn sehen, wenn es nichts mehr zu sorgen und zu besorgen gibt.

Sinnvoll kann nur empfunden und erfahren werden, wenn unsere Aktivitäten eingebunden bleiben in den Zusammenhang einer Zugehörigkeit, wo wir uns zu hause fühlen.

Wir wollen alte Menschen nicht einfach aufbewahren, sondern wir wollen ihnen „Wohnen“ ermöglichen.

Wir wollen beitragen zu einer vertrauten Umgebung, in der sich jeder einzelne heimisch fühlen kann wie in einer großen Familie.

Wir wollen unseren Bewohnern ein Daheim - Gefühl vermitteln - und dies ist umfassend gemeint:

Das Daheim-Gefühl umfasst alles, was wir mit dem Wort „Wohnen“ verbinden: Die vielfältigen Aspekte und Facetten unserer individuellen Lebenswelt, angefangen bei den eigenen vier Wänden, unserem Wohnraum, der uns Schutz und Geborgenheit bietet, bis hin zu unseren je eigenen Gewohnheiten, die uns vertraut geworden sind, mit denen wir uns beheimaten und verorten.

Die Sehnsucht nach ihrem Daheim, bewegt gerade dement betroffenen Menschen, auf der Suche nach einer vertrauten Lebenswelt, die ihnen Halt und Geborgenheit vermittelt.

Je weniger sie dieses Daheim antreffen, je mehr werden Aggressionen oder Resignation auftreten als Folge einer zunehmenden Verunsicherung und Angst.

Hier deutet sich an, dass mit einem Konzept des Wohnens die Pflege keine verwahrende Pflege mehr sein kann, sondern als eine rehabilitierende Pflege verstanden und gestaltet werden muss.

Darum versuchen wir im Sinne des Normalitätsprinzips das singuläre Heimatgefühl unserer Bewohner und Klienten substituierend einzusetzen.

Normalität ist in diesem Sinne die biografisch definierte Individualität.

Demzufolge meinen wir, dass die Milieugestaltung sich an der geliebten Biografie eines Bewohners orientieren muss, und nicht am Betreuungskonzept einer Institution ausgerichtet sein darf.

In diesem Sinne ist verstehende Pflege therapeutische Pflege, wie ich gerne sage, sie ist substituierende, stützende Pflege und Betreuung.

Sie ist immer wieder bemüht, das Befinden unserer Bewohner zu verbessern, wo immer es möglich ist. Das ist mit verstehender Pflege gemeint, dass wir nicht allein somatische Bedürfnisse versorgen, sondern die Seele bewegen vor den Beinen, und damit zu einem lebendigen Leben beitragen. Wir wollen Lebensmotive erwecken. Denn: „solange man lebt, sei man lebendig“. (E. Böhm)

Ein Konzept lässt sich nicht ein für alle Mal installieren, es ist ein ständiger Prozess.

Wir sind immer wieder im werden, wir sind immer wieder herausgefordert und gefragt, was wir verbessern sollen, wie wir Gutes bewirken können.

Verstehende Pflege muss in die Pflegeprozessplanung wie auch Dokumentation im Sinne einer systematischen Beschreibung und Übersicht dargestellt werden.

Pflegeanamnese, Berücksichtigung der Ressourcen, Festlegung des Pflegezieles, Pflegemaßnahmen und nicht zuletzt Pflegebericht und Evaluation sind die aufeinander abgestimmten Schritte, in denen sich der Pflegeprozess vollzieht, kontrolliert und evaluiert werden kann.“